Beteiligte:
Prof. Dr. J. Cholewa, Prof. Dr. C. W. Glück, J. Schneider (Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung B.-W.)
Kurzvorstellung
Bei dem Projekt zur Förderung der Genuszuweisung geht es um die Evaluation und Weiterentwicklung von Ansätzen zur Förderung der Genuszuweisung im Deutschen bei Kindern mit deutscher Zweitsprache und monolingualen Kindern mit einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung.
Die Genuszuweisung ist bei mehrsprachigen Kindern ein häufiger und lange andauernder Problembereich. Auch bei Kindern mit einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung sind Genusprobleme, wenngleich nicht in dieser Häufigkeit, anzutreffen.
Trainingsmethoden
Zur Förderung der Genuszuweisung wurden zwei psycholinguistisch fundierte Trainingsmethoden entworfen, die phonologische und morphologische Genuszuweisungsregeln didaktisch aufbereiten bzw. das Genus anhand von verschiedenen Wortarten und in verschiedenen Positionen im Satz aufzeigen. Im folgenden werden die beiden Methoden näher beschrieben:
Methode A „Syntaktische Variation in der Genusaktivierung durch Nomen-externale Genuscues“
Dem Training mit Methode A liegt das hierarchisch-serielle Sprachverarbeitungsmodell nach Levelt (1989) zugrunde. Demnach ist das Genus Teil der Lemma-Information. Das Nomen-Lemma steht diesem Modell zufolge in fester Verbindung zu seinem Genusknoten, der wiederum zu Lemmata gleichen grammatischen Geschlechts in Verbindung steht, die während der syntaktischen Kodierung mit dem Nomen kongruent gemacht werden (z.B. Pronomen, Artikel und Adjektive) (vgl. Neumann 2002, 72). Demzufolge wird Genus als eine syntaktische Kategorie gelernt. Daher wird in dieser Methode die Genusinformation in verschiedenen syntaktischen Kontexten angeboten und diese miteinander variiert. Die Methode ist in 3 aufeinander aufbauende Schwierigkeitsstufen gegliedert. In Schwierig-keitsstufe 1 wird mit einer einfachen Nominalphrase bestehend aus Determinativ (DET) und Nomen (N) agiert. Als Determinativ werden der bestimmte Artikel, Demonstrativa, Negativa und unbestimmte Artikel variiert, um so die Kongruenz deutlich zu machen. In Schwierigkeitsstufe 2 wird die Nominalphrase mit dem Adjektiv erweitert (unbest. Artikel + Adjektiv + Nomen). Die Ersetzung der Basis-Nominalphrase (DET + N) durch ein Possessivpronomen ist Inhalt der dritten Schwierigkeitsstufe. Jede der Schwierigkeitsstufen besteht aus drei aufeinanderfolgenden Trainingssitzungen.
Von einem Einfluss der phonologischen und morphologischen Genuszuweisungsregeln beim Erwerb des Genussystems kann beim hierarchisch-seriellen Sprachverarbeitungsmodell nicht ausgegangen werden, da Serialität und Unidirektionalität der Verarbeitung angenommen werden.
Methode B „Genusaktivierung durch Nomen-internale, prinzipienorientierte Genuscues"
Dem Training mit Methode B liegt das interactive activation Modell von Dell (1986) zugrunde. Dieses Modell nimmt eine Aktivierungsausbreitung im Netzwerk an. Im Gegensatz zum hierarchisch seriellen Modell überlappen sich hier semantische und phonologische Verarbeitungsschritte. Dadurch sind Feedbackmechanismen möglich, die eine Rückkopplung der Lexem- zur Lemma-Ebene bewirken. Daraus lässt sich ableiten, dass Genus (wie andere grammatische Kategorien auch) im syntaktischen Regelsystem gespeichert ist. Formale Genusmarkierer wie Artikel haben demnach einen Eintrag auf der Lemmaebene, ihre phonologische Repräsentation ist aber auf der Lexemebene gespeichert. Aufgrund der zurückfließenden Aktivierung von der Wortform zur Lemmaebene sagt das interactive activation Modell von Dell einen Einfluss von morphologischen und phonologischen Genuszuweisungsregeln auf die Genusselektion voraus (vgl. Neumann 2002, 91-102).
Dementsprechend werden bei Methode B exemplarisch drei phonologische und drei morphologische Genuszuweisungsregeln ausgewählt, deren Wörter im Set trainiert und gezielt miteinander kontrastiert werden. Außerdem soll durch die Verwendung von Pseudowörtern (z.B. Sutane, Kuler, Peikung) die implizite Regelbildung unterstützt werden. Ziel ist, dass die Kinder die phonologischen und morphologischen Cues für die Genuszuweisung entdecken und diese mit dem entsprechenden Genus verbinden lernen. Analog zu Methode A ist auch das Training mit Methode B in drei Schwierigkeitsstufen eingeteilt. Die Erhöhung der Schwierigkeit besteht hier in der Erhöhung der Anzahl der kontrastierten Regeln je Sitzung. In Schwierigkeitsstufe 1 werden je eine phonlogische und eine morphologische Regel miteinander kontrastiert, in Schwierigkeitsstufe 2 werden bereits vier Regeln miteinander kontrastiert und in Stufe drei alle sechs Regeln.
Bisherige Evaluation
In einer Pilotstudie wurden die Trainingsmethoden in einer multiplen Einzelfallstudie bei 8 Kindern mit türkischer Erst- und deutscher Zweitsprache der Klassenstufe 2 und 3 durchgeführt. Darin bekam jedes Kind ein Einzeltraining von insgesamt 18 Trainingseinheiten. Nach einer Voruntersuchung und der Bestimmung des Ausgangsniveaus der Teilnehmer (U0) erhielten alle Kinder ein Training mit Methode A im Umfang von 9 Trainingseinheiten. Im Anschluss daran fand die erste Nachuntersuchung (U1) statt, bei der die Effekte von Methode A gemessen wurden. Daraufhin erhielten die Kinder neunmal eine Trainingseinheit mit Methode B, woran die zweite Nachuntersuchung (U3) anschloss. Die Nachhaltigkeit der Effekte wurde mit der dritten Nachuntersuchung, acht Wochen nach Ende der Trainingsphase erhoben. Da bei Methode A keine generalisierenden Effekte auf in Methode B verwendetes Wortmaterial angenommen, sondern lediglich von einem itemspezifischen Lernen ausgegangen wurde und von Methode B starke Generalisierungseffekte auf nicht trainiertes Material zu erwarten waren, wurde hier bewusst auf ein Kreuzdesign im Ablauf der Trainingsmethoden verzichtet. Daher erhielten alle Kinder zuerst ein Training mit Methode A und im Anschluss daran mit Methode B. Der Ablauf der Pilotstudie ist der folgenden Tabelle zu entnehmen:
Genus-Trainingsstudie |
|||||
Probanden-N=8: keine SSES, L1=Türkisch, L2sukz.=Deutsch |
|||||
0 |
+3 Wochen |
+1 Woche |
+3 Wochen |
+1 Woche |
+8 Wochen |
U0: untersuchung: |
Trainingsphase 1 Methode A |
U1: |
Trainingsphase 2 Methode B |
U2: |
U3: |
Pbd.-Auswahl u. Baseline |
Nomen-externale Genuscues |
Effekte von Methode A |
Nomen-internale Genuscues |
Effekte von Methode B |
Nachhaltig-keit der Effekte |
1. informeller Genustest 2. CFT 1/20 3.Subtests aus HSET, K-ABC 4.spontanspr. Genusprüfung |
3x pro Woche Sitzungen à 30 min. (4,5 Stunden) Trainingswort-schatz1 N=36 |
informeller Genustest mit Auswertung unmittelbarer E. =trainiertes Mat. generalisierter E. =nicht trainiertes Material und Pseudowörter |
3x pro Woche Sitzungen à 30 min. (4,5 Stunden) Trainingswort-schatz2 N=60 |
informeller Genustest mit Auswertung unmittelbarer E. =trainiertes Mat. generalisierter E. =nicht trainiertes Material und Pseudowörter |
1. Informeller Genustest 2. spontanspr. Genusprüfung |
Erste Ergebnisse
Erste Ergebnisse zeigen ein sehr heterogenes Bild bezüglich der Genusleistungen der Kinder. Individuelle Leistungen, wie auch Lerneffekte sind von Kind zu Kind sehr unterschiedlich. Insgesamt kann festgehalten werden, dass sieben der acht Kinder durch das gesamte Training signifikante Fortschritte erzielen konnten. Dies gilt bei 6 Kindern für die trainierten Wörter, bei 5 Kindern auch für die nicht trainierten Wörter der trainierten Regeln (Generalisierungseffekte). Dabei profitierten sie nicht in gleichem Maße von den beiden Trainingsmethoden. Bei den trainierten Wörtern machen 2 Kinder lediglich bei Methode A signifikante Fortschritte, ein Kind bei Methode B und ein weiteres hat durch beide Methoden signifikante Fortschritte erreicht. Die anderen Kinder verzeichnen ebenfalls leichte Fortschritte, die allerdings nicht signifikant sind.
Ausblick
Wünschenswert wäre eine weitere Evaluation der Trainingsmethoden, sowie eine Verfeinerung und Differenzierung des Vorgehens.